14
Jun 17

Fanatiker sind Puristen

Joachim Kaiser und seine Benny Goodman-Kritik von 1959

 

Es war eine der traurigen Nachrichten im Mai: Joachim Kaiser ist gestorben. Ja, der Musikkritiker. Der Prototyp: seine Autorität beruhte auf seiner immensen Bildung, dazu kam seine tiefe Liebe zu allem, was man so „Kultur“ nennt – also Theater, Oper, Musik. Letztere war meist in ihrer „klassischen“ Ausprägung Thema für ihn – aber neben seinem Nachruf veröffentlichte die Süddeutsche (deren Feuilleton-Chef er lange war) seine Kritik von einem Benny Goodman-Konzert im Deutschen Museum in München 1959.

Sein Text beginnt zeitlos: „Jazzfans können demjenigen, der keiner ist, schon Angst einjagen. Aber nicht etwa, weil man um das Mobiliar bangt, das bei solchen Veranstaltungen erfahrungsgemäß einer gewissen Gefährdung unterworfen ist. […] Einschüchternd wirkt vielmehr die Kennerschaft.“

Ja, den fachidiotischen Fanatismus von Jazzfans hatte damals auch Adorno schon erwähnt: als Beleg dafür, dass es in diesem Segment der Unterhaltungsindustrie wohl doch nicht um Freiheit, Kommunikation oder eine bessere Welt gehen könne. Alles bekannt und schon gehabt also (obwohl: ist es heute so viel anders)?

Kaiser schreibt weiter, 1959: „Fanatiker sind Puristen. darum war ich nicht überrascht, als ein kenntnisreicher Fan mich wissen ließ, daß über unpassende Be-Bop-Phrasen, die beispielsweise in Dixieland-Ensembles störend auftauchten, schon Jazz-Lebensfreundschaften zerbrochen seien“.

Ok. jaja. Aber jetzt kommt der interessante Satz: „Benny Goodman kennt solche Skrupel anscheinend nicht.“

Dann erklärt Kaiser einserseits, wie altbacken die 32-tel aus der Swingklarinette des Meisters Goodman perlen, andererseits aber auch der WestCoast-Pianist Russ Freeman dabei ist, der „durchaus moderne Töne ins Ensemble bringt“.

Das lässt schon 1959 die Jazz-Fanatiker, die eben quasi noch in der Warteschlange interviewt wurden, schlecht aussehen: „Schaut mal, selbst Benny Goodman spielt mit den Modernen zusammen!“

Ganz so schlimm  scheint es aber auch 1959 schon nicht gewesen zu sein, die Fans – vulgo: Fanatiker – trugen den Stilmix offenbar mit Fassung: „Die Münchner Zuhörer waren auffallend brav. es wurde nie protestiert, sondern immer zuvorkommend geklatscht, gelungene Soli erhielten Beifall, zu Exzessen irgendwelcher Art kam es nicht.“

Ende des Berichtes, der Kritik. Gut erkennen kann man hier Joachim Kaisers eigene Kunst als Schreiber: er greift ein bekanntes Vorurteil zum Jazz (und seinem Publikum) auf – den fanatischen Purismus – und stellt das mit starken Bildern dar (Dixie, Bebop, Freundschaften zerbrechen).

Als Leser ist man gleich dabei, bildet sich seine eigene Meinung über diese Fanatiker. Dann: Goodman, der eigentlich was für die Puristen sein müsste, er ist schließlich die Galionsfigur des Swing! Er darf aber auch cooler sein als (vermeintlich) sein Publikum.

Und am Ende stellt sich raus: die Aufreger-Kulisse vom Anfang des Textes geht nicht auf. Die Fans protestieren gar nicht. Sondern klatschen brav. 1959 ist also schon die Luft raus ?

Naja: 1938 spielte Benny Goodman mit seinem Orchestra in der Carnegie Hall (das Jubiläum steht bevor!) – 1959 in München war also zumindest sein Jazz kein Subkultureller Hit mehr – sondern schon jahrzehntelang anerkannte Kunst/Unterhaltungsmusik. Der Jazz-Mainstream damals: Cool Jazz, mit seiner Renaissance französisch-impressionistischer Harmonik. So pastell, dass Ornette Colemans Kollektivimprovisation im folgenden Jahr unter dem legendären Titel „Free Jazz“ verkauft wird!

Ich wage zu behaupten: die Besucher des Goodman-Konzertes 1959 waren eben schon in den späteren Jahrzehnten ihrer jeweiligen Fan-Laufbahnen angelangt. Und konnten wohl auch die Tickets bezahlen.

Die Jazzfans aber, die (noch) für was brannten – die waren in anderen Konzerten zu finden. Und ich fürchte, die waren auch derbe puristisch drauf.

however – das schmälert keineswegs den Spaß beim Lesen von Joachim Kaisers Text. Es ist schade, dass er keinen mehr schreiben wird.

 

Der Nachruf in der Süddeutschen Zeitung


13
Jun 17

go out of your ways


Das unerwartete Duo: Achim Kaufmann und Kalle Kalima „unplugged“ im b-flat Berlin (12. Juni 2017)

Bitte entschuldigt – ich liebe es zwar, Bilder von besonderen Konzerten zu machen, aber ich bin kein Fotograf. Eher so ein Fan von Handy-Schnappschüssen. Aber der Abend gestern ist hier ganz gut eingefangen, wenn auch nur grobkörnig.

Es war ein Kammermusik-Abend im Gewölbe-Keller des b-flat. Ein intimes, akustisches und intensives Duo. Natürlich war schon die Ankündigung spannend – Achim Kaufmann, der Pianist mit dem Herz für den feinsinnigen Humor von Herbie Nichols, der Improvisator in Bands wie Christian Lillingers Doppelquartett GRÜNEN oder auch Dejan Terzics MELANOIA, dieser immer etwas zurückhaltende Poet – im Duo mit Kalle Kalima, den man leicht für einen überdrehten Rockgitarristen halten könnte. Etwa bei den TENORS OF KALMA, seinem Trio mit Jimi Tenor, oder bei OLIWOOD, dem Trio das mit Oliver Steidle und Frank Gratkowski da weiter macht, wo ich in den 90ern aufhörte John Zorn zuzuhören.

Zwei großartige Musiker – aus ganz unterschiedlichen Ecken, dachte ich. Und lag wieder mal falsch damit: Natürlich haben sie schon 2013 miteinander gespielt, in der BERLIN SUITE von Gebhard Ullmann. Und merkten, dass sie wohl viel gemeinsam haben.

Da war es eigentlich gar nicht nötig, dass Kalle Kalima mit seiner neuen akustischen Gitarre auf die Bühne kam. Obwohl dieses „unplugged“-Setting genau richtig war für die pure Kammermusik-Atmosphäre dieses Abends. Keine Ablenkung: keine Show; aber jeder Ton zählt.

Beide sind auch als Komponisten bekannt, hatten Stücke aus ihren Repertoires zu diesem Treffen mitgebracht. Das brachte Achim Kaufmann manchmal richtig ins grooven, dann wieder übernahm Kalle Kalima eine Art Bass-Ostinato, über das das Klavier irgendwo zwischen Scarlatti, C.P.E. Bach und Coltrane´schen „Sheets of Sound“ improvisierte.

Ein Feuerwerk der Spannungs-Zustände und Klangfarben – Kalima schlägt aus der akustischen Gitarre Funken, doch das ist noch nicht der Inhalt seiner Musik: hat sich dass Ohr an den dichten Strom an Informationen gewöhnt, ist da eine tiefe Melodie, ein emotionaler Gehalt, der sich erst im Schlußakkord auflöst.

Ganz ähnlich bei Achim Kaufmann, der quecksilbrige Cluster aus dem Klavier kitzeln kann, aber eben bei aller Überschall-Geschwindigkeit doch die Musik formt und strukturiert wie der erfahrene Komponist, der er ist. Es ist manchmal vergleichbar mit dem Unterschied zwischen „kleckserei“  und den „Drip-Paintings“ von Jackson Pollock, „if you know, what I mean“.

Wenn das noch nicht deutlich wurde („what I mean“), liegt es daran, dass ich die Fülle an Eindrücken nicht wirklich gut zusammen fassen kann, auch nicht möchte. Ich fürchte, das würde diesem Duo nicht gerecht.

Sie sprachen davon, vielleicht das Duo auch aufzunehmen. Nach dieser Platte darf man also demnächst Ausschau halten. denn das kann ich schon sagen: aufregende Musik von zwei Meistern.

 

Über Kalle Kalima durfte ich vor kurzem ein Portrait für den Tagesspiegel verfassen, meinen Text verlinke ich hier.

 


13
Jun 17

Der düstere Finne

Musik zu Kaurismäki-Filmen: Endlich spielt Kalle Kalima wieder einmal in Berlin

Dieser Text erschien auch am 27.05.2017 im Berliner Tagesspiegel

 

„Bisher war das Wetter nicht gut genug. Ich hab schon überlegt, ob ich weiter nach Süden ziehen muss“ sagt Kalle Kalima und lacht. Er sitzt in der Sonne vor seinem Proberaum in Pankow und spielt die Alternativen durch: „Ich würde nach Barcelona gehen. Aber am liebsten würde ich ein großes Segelboot kaufen und auf dem Mittelmeer von Stadt zu Stadt segeln: immer dahin, wo das Wetter wirklich gut ist“.

Aber bis es soweit kommt, ist er in Berlin ganz gerne zuhause. Immerhin lebt er schon fast zwanzig Jahre hier, in einem Häuschen in Pankow mit Garten für die Kinder. Fast ebenso lange wird er zu den Aushängeschildern der Berline Jazzszene gezählt. Auch, wenn er meist international unterwegs ist. „Die nächsten Konzerte werden in Wien, Zürich, Frankfurt und Passau sein, in Polen und dann in Mexiko“ freut er sich.

Vorher tritt er endlich wieder einmal in Berlin auf: beim JazzDor Strasbourg-Berlin Festival spielt er am Mittwochabend mit seinem Trio Klima Kalima und dem französischen Posaunisten Yves Robert als Gast. Das französische Festival unterhält seit zehn Jahren eine Dependance in der deutschen Hauptstadt und bringt hier immer wieder internationale Projekte auf die Bühne. Yves Robert etwa wurde einst mit dem ARFI-Kollektiv  bekannt, der „Association à la Recherche d’un Folklore Imaginaire“.

Im Konzert mit Kalima geht es jetzt um eine imaginäre Filmmusik: „Finn Noir“ handelt von lakonischen Kaurismäki-Klassikern wie „Ariel“ oder „Das Leben der Boheme“ oder von Inspector Palmu, einem finnischen Fernsehkommissar aus den 50er Jahren. „Früher haben Jazzmusiker auf der Basis von bekannten Broadway-Nummern gespielt. Da gab es etwas, was die Leute schon kannten. Wenn sie schon Bilder im Kopf haben, kann sich ein Dialog ergeben“, erklärt Kalima. Aber er hält sich nicht damit auf, die Erkennungsmelodien der Filme nachzuspielen: es sind seine eigenen Eindrücke und Assoziationen, die er hier mitteilen will.

Dass er dazu heute als Musiker auch die Gelegenheit hat, ist ein großes Glück. Zwar überredete ihn schon ein Schulfreund mit Beatles und Pink Floyd-Cassetten dazu, eine Band zu gründen und Gitarre zu lernen, aber nach dem Abitur begann er trotzdem erstmal ein Jura-Studium. Und wäre auch bestimmt ein guter Anwalt geworden: noch heute wählt er seine Worte genau und pointensicher. Doch schließlich bewarb er sich doch an der Sibelius-Akademie und bekam einen der fünf Plätze im Jazzstudiengang. „Und das war auch der Beginn der ernsthaften Arbeit“ stellt er heute fest. Nach ein paar Semestern in Helsinki gab es ein Angebot zu einem europaweiten Austausch im Rahmen des Erasmus-Programms und so kam Kalle Kalima im Herbst 1998 endlich in Berlin an: „Schon deshalb bin ich ein großer Fan der Europäischen Union“.

Seine erste Berliner Adresse war ein Studentenwohnheim am Mendelssohn-Bartholdy-Park. „Das war praktisch ein Zimmer mit integrierter Kochplatte“ erinnert er sich. „Einmal im Monat kam der Kammerjäger und Nachts stand ab und zu die Polizei im Hof und suchte jemanden“. Aber dann suchte er sich selbst eine WG im Prenzlauer Berg und „Dann wurde es viel besser“. Schon bald war er an der Hochschule für Musik Hanns Eisler eingeschrieben und bekam die ersten Unterrichtsstunden bei John Schröder. „Der ist ein fantastischer Musiker! Sein Unterricht bestand eher darin, dass wir zusammen spielten und kommunizierten. Da hab ich viel mitbekommen. Es war auch witzig: er hatte einen Verstärker – aber der hatte nur einen Eingang! Also haben wir beide mit E-Gitarren gespielt, aber unplugged, ganz leise. Aber er spielt ja auch Schlagzeug und lud noch Daniel Erdmann dazu ein, der Saxofon spielt. Und bald hatten wir eine Band zusammen: „Momentum Impacto“. Das war meine erste Band in Berlin, das war toll. Wir haben auch zwei Alben aufgenommen“.

Schnell kamen weitere Bands dazu: „Baby Bonk“ etwa, über deren verspielten Stilmix schon 2005 im Programmheft des Jazzfests Berlin 2005 zu lesen war, nach dem Konzert müsse man sich, oder zumindest seine Plattensammlung wieder neu sortieren (und die am 29. Juli nach längerer Pause wieder einmal zu hören sind:  bei „Jazz am Kaisersteg“ in Oberschöneweide), und „Johnny La Marama“ (als das andere Trio neben „Klima Kalima“), auf seiner Website führt Kalima noch zehn weitere Projekte auf: darunter das finnische Quartett K-18 (was „FSK 18“ entspricht und schon CDs zu den Regisseuren Kubrick, Bunuel und Lynch veröffentlichte) und die „Tenors of Kalma“ mit dem Multi-Instrumentalisten Jimi Tenor, mit dem Kalle Kalima im vergangenen Jahr auch für den Echo Jazz nominiert war.

Und dann sind da noch zwei Handvoll bemerkenswerte Projekte. „Ich habe ziemlich viele Bands“ räumt der Gitarrist ein. „Es ist eine Art darwinistisches System: was nicht wirklich funktioniert, verschwindet auch im Lauf der Zeit“. Ab dem Herbst wird er das Zeitmanagement neu überdenken müssen, dann unterrichtet er monatlich an vier Tagen an der Musikhochschule in Luzern. Er freut sich darauf, mit den Studenten zu arbeiten. „Ich hatte selbst viele gute Lehrer, in Helsinki und hier in Berlin. Ich hab Lust, die Information und Inspiration weiter zu geben, die nächste Generation zu beeinflussen, dass die ihr Potenzial finden“. Zuhause, ganz privat, macht er genau das: seine Kinder sind 10 und 13 Jahre alt. Pankow ist ein guter Ort für seine Familie, findet er: „Berlin ist eine große Stadt und es gibt ganz unterschiedliche Ecken. Hier funktioniert es ganz gut. Pankow ist fast wie ein Dorf, die Schulen sind gut und es gibt drei große Parks. Trotzdem kommt man schnell ins Zentrum. Der öffentliche Verkehr in Berlin ist fantastisch. Ich treffe ja ab und zu Leute aus den USA. Und es gibt einfach Orte, in denen es das alle nicht gibt: keinen ÖPNV – und auch keine Kitas“.

Trotz der manchmal etwas dunklen Winter bleibt er also wohl noch ein paar Jahre Berliner, mit seinem charmantem finnischem Akzent, als säße man in einem Kaurismäki-Film. Stört es ihn eigentlich, dass er oft mit solchen Klischee-Vorstellungen verwechselt wird? „Manchmal schon, aber andererseits profitiere ich auch davon, dass Viele ein positives Bild von Finnland haben oder Finnen zumindest lustig finden oder merkwürdig. Wenn ich aus Laos käme, oder aus Belize, wäre es sicher nicht so einfach“.

Nur eins kann er wirklich nicht verstehen: dass eine FDP-Initiative jetzt den Flughafen Tegel offen halten will. „Es ist natürlich ein spezieller Ort, man kann direkt zum Gate fahren und es war immer schon da für die Westberliner. Aber das Leben geht weiter! Dieser Flughafen stört das Leben von 300.000 Menschen. Die Flugzeuge fliegen direkt über mein Haus! Die Pankower warten schon Jahrzehnte, dass es aufhört mit diesem Lärm. Nun lasst mal gut sein. Bitte“.

 

Klima Kalima „Finn Noir“ feat. Yves Robert  – 31.05.2017

Im Rahmen des Festivals  JazzD´or Strasbourg-Berlin 30.05.-2.06.2017 jeweils 20 Uhr
Kesselhaus Kulturbrauerei, Knaakstraße,

http://www.jazzdor-strasbourg-berlin.eu/

 


21
Nov 16

Was die Mühe lohnt – Jazzfest Berlin 2016

„Als Hörer muss man sich genauso auf ein Konzert vorbereiten, wie die Musiker“ sagt Wadada Leo Smith. Und er meint damit, das es notwendig ist, sich mental zu Öffnen, Interesse und Aufmerksamkeit zu haben, wenn man vorhat, improvisierte Musik zu hören.

Vielleicht war ich nicht richtig darauf Vorbereitet,

(c) Camilla Blake

(c) Berliner Festspiele / Camilla Blake

den Auftritt von Jack DeJohnettte mit Ravi Coltrane und Matt Garrison beim Jazzfest Berlin zu verstehen und/oder zu genießen. Immerhin hatte nur 20 Minuten zuvor noch die HR-Bigband auf der Bühne gestanden – zusammmen mit Nik Bärtsch´s „Ronin“ – und die „Ritual Groove Music“ des Schweizers zelebriert, die eingebettet in wunderbar dichte Bläserteppiche etwas von ihrer kantigen Askese verlor, aber eben im Orchester-Format einfach überwältigend wirkte – noch lange nach dem letzten Schlussakkord.

Und dann kam eben Jack DeJohnette auf die Bühne: lebende Legende, ein großer schlanker Mann mitte siebzig – und mit ihm Ravi Coltrane und Matt Garrison, mit deren Vätern er schon vor einem halben Jahrhundert in die Jazzgeschichte eingegangen war. Ein Steinway stand bereit für DeJohnette, der zwar als Schlagzeuger bekannt ist, aber gerade ein Solo-Piano-Album veröffentlicht hat (https://youtu.be/xWXdAcA_aEo) und so intonierte er ein paar komplexe Kadenzen, eher Klangwolken, zu denen Coltrane (am Saxofon) und Garrison (Bass, elektrisch, 6-Saiter) eigene Beiträge formulierten. Das Saxofon: klar und aufgeräumt – Ravi Coltrane ist, wie sein Vater, kein zögerlicher Spieler. Garrison dagegen blieb mit seinem 6-saiter E-Bass und den angeschlossenen Effektgeräten in einem Klanguniversum, das ich eigentlich seit den 80-er Jahren für verwaist gehalten hatte. Leider ohne für mich erkennbaren musikalischen Nährwert.

Nach ein paar Minuten wechselte Jack DeJohnette doch ans Schlagzeug. Aber zunächst drehten seine Achtelpatterns auf dem Hihat noch nicht rund, allzu schlichte Figuren wollten nicht so recht dazu passen, dass hier ein legendärer Schlagzeuger das Lead-Instrument spielt. Hätte ich nicht im vollbesetzten Saal eines der wichtigsten Festivals in Deutschland gesessen: ich wäre vermutlich gegangen, hätte die drei bei ihrer On Stage-Probe nicht stören wollen.

Und ich hätte das Wichtigste verpasst: denn die drei, die sich da ohne vorbereitete Parade-Stücke auf die Bühne gestellt hatten – die fanden tatsächlich zusammen, verdichteten ihr Spiel. Schließlich entwarfen sie eine Version von „Alabama“ – einer „Black Lives Matter“-Klage, die eben John Coltrane 1963 bei einem TV-Konzert live in Screen gespielt hatte, als Reaktion auf ein KKK-Bombenattentat auf eine Kirche in Birmingham/Alabama.

Und als sie gar die Riffs aus „Serpentine Fire“ (von Earth,Wind & Fire !) aufgriffen, war klar: dieese Musiker wissen eben doch, was sie tun. Und sie tun es sehr bestimmt. Wer sonst würde eines der opulentesten Show-Pieces des Funk so reduziert im Trio in Angriff nehmen? Sicher wollten auch DeJohnette, Coltrane und Garrison nicht behaupten, sie hätten hier den neuesten Disco-tauglichen Remix geliefert: und doch hatte ihr Zitat alles, was „Black Music“ meint, die ganze Wucht von Jazz und Funk.

Und dass dazu eben eine halbe Konzertstunde „Suche“ notwendig war, erwies sich als Lehrstunde: „kommt mit, liebe Hörerinnen und Hörer, es muss nicht immer alles vorgefertigt sein. Das Konsum-Format ist gar nicht das wirklich Wichtige auf der Welt. Wir Menschen sind wichtig, wenn wir etwas gemeinsam tun“

Das mag sich hier wie eine Binsenweisheit lesen: aber manchmal muss man daran erinnert werden. Und wenn ein Trio bei einem Jazzfestival das kann: dann war es doch den Aufwand wert!